Ja, ich bin mit Kritik an dieser Phrase reichlich spät dran. Sie soll auch eher als Aufhänger für ein größeres Thema dienen. Ich glaube, ich sage Freundinnen genauso oft wie Freunden und genderqueren Freund*innen, dass ich sie attraktiv oder hübsch finde. Dabei habe ich eigentlich nie das Bedürfnis klarzustellen, dass ich die jeweilige Freundin nicht sexuell anziehend finde oder dass ich homosexuell bin.
Leider muss ich diese Aussage relativieren. In einer idealen Welt hätte ich vermutlich nie das Bedürfnis dazu, aber in der Realität sind (sexuell) übergriffige Männer nicht selten. Insofern nutze ich meine sexuelle Orientierung tatsächlich manchmal, um bei Frauen, die ich nicht gut kenne, klarzustellen, dass ich mich nicht übergriffig verhalten werde. Der Gedanke daran, dass ein einfaches Kompliment für viele Frauen ein Trigger sein kann, macht mich unglaublich traurig. Aber, so wichtig das Thema auch ist, darum geht’s heute nicht.
Ich sage Freunden oft, dass ich sie liebhabe. In den wenigsten Fällen vermittle ich meines Wissens dabei, dass ich gerne Sex mit ihnen hätte.
Das hätte ich früher so nicht getan. Vor meinem Outing war ich peinlich genau darauf bedacht, sicher keine lobenden Worte über Äußerlichkeiten von männlich gelesenen Personen zu verlieren. Schließlich hätte es das Gerücht, ich könnte schwul sein, sofort bestärkt.
Gut, zu der Zeit habe ich mich auch noch sehr angestrengt mir selbst weiszumachen, ich sei heterosexuell. Primär hatte ich also eigentlich Angst, selbst Zweifel an meiner Sexualität zuzulassen. Sie wäre ziemlich fragil, diese Sexualität, wenn sie durch ein Lob, ein Zugeständnis von egal welchen Gefühlen schon ins Wanken kommen würde. Glücklicherweise ist sie das eigentlich nicht und unser Verhalten und Auftreten ist herzlich losgelöst von unserer Sexualität.
Warum also finde ich die oben genannte Phrase problematisch? Sie fördert ein Bild von Männlichkeit, bei dem nicht über Gefühle gesprochen wird. Sie erschwert empowernd und unterstützend zu sein, es könnte ja falsch verstanden werden. Denn jedes Mal, wenn nach einer Aussage die Phrase verwendet wird, wird diese zukünftig als mögliches Zeichen von Homosexualität gewertet. Nicht zuletzt impliziert es, dass Homosexualität etwas Negatives sei.
Was ist die Phrase „No Homo“ also, außer eine weitere homophobe Aussage, die toxische Denkmuster fördert? Und um das nochmal zu verdeutlichen: Männer können Männer attraktiv finden, ohne dass es Rückschlüsse auf die Sexualität zulässt. Allgemein, jede*r kann jede*m attraktiv finden, ohne dass es bedeutet, dass eine sexuelle Anziehung vorhanden ist.
Und gleichzeitig ist es doch so erfreulich Komplimente zu bekommen und was gibt Schöneres, als das Gefühl, anderen Menschen wichtig zu sein, geliebt* zu werden. Und manchmal tut es eben einfach gut, das auch zu hören.
Und ist es nicht wundervoll, dass wir einen kleinen Beitrag dazu leisten können, toxische Männlichkeitsbilder zu überwinden und zu ersetzen, indem wir Freund*innen sagen, dass sie heute einfach umwerfend aussehen?
*Wichtiger Punkt: Ich persönlich finde, dass Liebe auch zwischen Freund*innen existieren kann. Sie ist dann eben auf keiner romantischen oder sexuellen Ebene, aber dennoch Liebe.
Das Beitragsfoto ist übrigens von Adrian. Ein guter Freund von mir, dem ich gerne ein Kompliment machen wollte. Sein Stil und sein Auftreten sind regelmäßig schlicht atemberaubend.